Einermann

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„Einermann“ – Artefaktkomposition als Selbstportrait

Die Gitarre in meinem Zimmer ist nicht nur Dekoration, sondern auch Vorwurf. Ein schwarzes hübsches Ding, das schweigend mahnt, wenn Gitarrenklänge aus der Anlage durch die Wohnung schwingen, dröhnen oder krachen. Ich kann nicht Gitarre spielen, die vier Lagerfeuerlieder, fünf Songintros und sechs Akkorde einmal ausgenommen. Zudem steht in meinem Zimmer ein alter Fender-Röhren-Amp auf dem Jimi Hendrix mal gespielt haben soll, was ich für ausgesprochen unwahrscheinlich halte, es aber trotzdem gern als Anekdote erzähle. Rock n‘ Rollesk war da schon eher die Unterkunft auf einem Hausboot in Kaschmir, in dem schon Mick Jagger nächtigte.
Die Gitarre bekam ich von einem Freund geschenkt. Sie ist für mich auch ein Versprechen, das ich der Musik gab und noch nicht einlösen konnte, aber werde. Frühmusikalisch traumatisiert wurde ich durch den Blockflötenunterricht. Nehmen wir an, es gibt die Hölle. Nehmen wir an, es gibt einen Raum in der Hölle, in dem akkustische Folterqualen auf den Sünder warten. Es wird ein Blockflötenkonzert von Erstklässlern sein. Jede Wette.
Den späteren Klavierunterricht brach ich bald in einer pubertären Laune ab, bevor er richtig fruchten konnte. Oh, was könnte ich mich heute dafür ohrfeigen. Mein Klavierlehrer war übrigens Schlagzeuger auf einer Tournee von Freundeskreis, aber das erwähne ich jetzt nur um anzugeben.

„Einermann“ wurde ich von „Kleinermann“ genannt. Das entzückende ((ein Wort, bei dem man sich eine Dame mit Teetasse in der Hand vorstellt)) kleine Kind einer Freundin nennt alle Männer „Einermann“ und hat Angst vor ihnen und versteckt sich weinend hinter der Mutter.
Eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit Kleinstkindern habe ich ja. Das hat natürliche Gründe. Die familienbedingte Phase ist vorbei, die Phase in denen einen der Freundeskreis mit Kindern konfrontiert, beginnt gerade erst. Dass die Liebe Früchte trägt ist schön, Kinder mag ich auch gerne, nur noch nicht jetzt – aber dass weiß man ja zu verhüten. Weinende Kleinkinder machen mich ein bisschen hilflos.
Der ängstliche Kleinermann am Rockzipfel seiner Mutter, wurde jedenfalls magisch von der Gitarre angezogen. Ich nahm sie in die Hand und legte einfach los. Es war das Schönste, das ich je gespielt habe, auch wenn es nur dilettantische drei Akkorde und das halbe Intro von Jeff Buckleys Hallelujah waren. Das Schönste, weil jemand zuhörte, dem es gefiel und der selig strahlte. Hach!

2 Kommentare

  1. Ein schöne Komposition. Eine wunderbare Idee. Meine Hanika 54 PF, PF für Palisander Fichte steht immer neben mir, und wenn ich nicht recht weiter weiß, dann schnapp ich sie mir. Es kommen immer mehr Melodien hinzu.

  2. Seufz, ich ärgere mich auch manchmal – früher öfter – das Gitarrenhandwerk nicht weiter gelernt zu haben. Die Musikschule war aber auch doof. Ich hab jetzt einfach nicht mehr die Zeit und andere Interessen entwickelt, das nachzuholen. Aber im nächsten Leben will ich Gitarrengott werden!

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