Der gordische Herzknoten

Betrübt blickte das Regenwetter auf Sven herab. Er hatte das Glück verlassen. Sein Leben war keine Novelle (definitv nicht!), sondern eine olle Kamelle. Ein Leidfaden. Dass die Leber sein Schlamassel ausbaden sollte, kam aber nicht in Frage. „Oh Gott“, ächzte Sven. „Oh Sven“ müsste wohl auch Gott seufzen.

~*~

… Raus aus der Stadt, rein in den Wald. Alles rausschreien. Die Espen zum Zittern bringen. Am Lenkrad kam ihm sein geplanter Wutausbruch dann wieder „leicht“ dämlich vor. Im Wald trat er gegen einen Baum und fluchte nur leise, weil Spaziergänger zugegen waren. Jetzt schmerzte sein Fuß. Er setzte sich auf eine Bank und ignorierte aktiv den Regen. Aktive Ignoranz ist die Form, die man wählt, um sich lang und explizit über Dinge auszulassen, die einem ja „eigentlich am Arsch vorbeigehen“. Paris Hilton und der Ausschnitt der Bundeskanzlerin etwa. Ein Dieter Bohlen ist das unerwünschte Kind aktiver Ignoranz.
Sven saß also auf der Bank und triefte vor Regenwasser und Selbstmitleid. Er dachte darüber nach, über sein Leben nachzudenken. Verflixte Grübeleien von morgens bis abends, aber wenn man sich mal so richtig hinsetzen, einen Strich zu machen und Soll und Haben gründlich reflektieren will, denkt man plötzlich über die Optionen der Abendmahlzeit nach.
Sie hatte ihn verlassen, ok. Spaghetti, doch nicht schon wieder Spaghetti. Selbst wenn man Spaghetti gerne mag und einem die Tomatensauce schon fast durch die Adern rinnt, ist das Nudelgericht die Masturbation unter den Mahlzeiten. Befriedigend, aber nicht erfüllend. Falsch, sie hatten sich verlassen. Nach der Hochphase der Trennungsfreiheit kam unweigerlich ein Stimmungstief, dass ihn „die Vorteile des Single-Daseins“ als Wüstenfreiheit erkennen ließ. Oder mit Pesto, dem grünen Ketchup der Nudelküche. Svens aktive Ignoranz endete mit dem Eindringen des Regenwasser in die Unterwäsche. Es war vorbei. Er stand wieder auf. Ja, Pesto klang gut. Die 500g-Packung Spaghetti, den Rest dann morgen mit Eier und Speck in die Pfanne hauen. Dann die mentalen Jalousien hochziehen, die Sonne ins Oberstübchen lassen. Sich um 20:15 Uhr vor den Fernseher kuscheln. Alleine, verdammt. Nur mit der Wolldecke in Übergröße. Kann man sich zwar doppelt einwickeln, hält auch nicht besser warm (ums Herz).
Wie eine kinderfressende Monsterspinne, die urplötzlich in einer heiteren Familien-Sitcom auftaucht, war die Trennnung gekommen. Damals – ja, klar – die logische Konsequenz unglücklicher Umstände, heute wahnwitziger Irrsinn. Die Girl-leaves-Boy-Storyin der postmodernen Variante. Auf dem Berg der Erziehungsratgeber weht der eisige Wind der Vernunft. Da lässt sich wallender Werther-Herzschmerz kaum noch erfolgreich praktizieren.
Im Auto trocknete Sven dann langsam. Der Lovesong im Radio war kaum zu ertragen. Beim Singen über den Schmerz der Liebe sollte man unbedingt das Spaghetti-Kochen berücksichtigen, fand er und das versetzte in ihn in eine heitere Stimmung, mit der er den leeren Beifahrersitz auf dem Heimweg ertrug. Sein Herz schmerzte, sein Fuß auch. Die Unterhose naß, aber im Kopf diese wunderbare, diese seltsame Heiterkeit, die in betrüblichsten Stunden mit einem Grinsen gegen die Trauer pinkelt.

5 Kommentare

  1. Ein sehr, sehr weiser Artikel über die Wechselwirkungen von Leib und Seele, Wind und Wetter und das große Thema:
    WelcheMusikspielendieseNullnummernvonMusikreadakteurenbeimSWReigentlich jetztschonwieder?

    Meiner Erfahrung nach erzielen Freilandspaghetti die tröstlichste Wirkung bei Liebeskummer.
    Oder Dampfnudeln. Die sind auch hervorragend geeignet. Am besten nackiche.

  2. Ebendiese!

    Mit Liebe zermalmt und zur Labsal gezüchtet.
    Aus deutschen Landen und passt auch zu Fisch!

    (Im nächsten Leben werde ich Werber, so viel steht schon mal fest)

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