Der Nebel fließt wieder über die Felder. Der letzte Schnee zieht sich langsam in die Wälder und Nordhänge zurück. In den landläufigen Bächen brackert das Wasser gen Bodensee – Zeit für eine kleine Sommergeschichte.
Don Rodrigo, El Fredo, Mauarbeiter, Timbohrmaschine, Manni und meiner Wenigkeit ungespitzer Name weilten in Süditalien. Bautechnische Angelegenheiten bedurften unserer Präsenz in Casal Velino. Tagsüber balkten (wie klotzen, nur härter) wir auf der Baustelle. Abends peronisierten wir unsere staubigen Kehlen. Eine Temperatur, die auch das Wort Nachtkühle mit unbeirrbaren Höchstgraden verhöhnte, machte uns das Leben zu Dantes Inferno. Ein literarisches Werk, dass ich leider noch nicht kenne, in dessen Höllenbeschreibung ich mir aber auch diese kleinen verdammten Drecksmücken sehr gut vorstellen kann, die in den Nächten erbarmungslos einen Luftangriff nach dem anderen flogen.
Wir hausten in einer Unterkunft, die neben ihrer extrem kompakten Form einen enorm niedrigen Betonträger auf dem Weg zur Badzelle hatte. Diejenigen unter uns, die keine Hobbits oder Zwerge waren – also alle – nahmen öfters Anstoß daran. Neben den Nudeln – dafür danke – musste Marco Polo, der olle Globetrotter, ja auch noch unbedingt das Feuerwerk aus China einschleppen. Bis spät in die Nacht zitterten die Fensterscheiben unter den Kanonenschlägen der italienischen Feierwut.
Schlafen? Materialmente impossible!
Des Wälzens in verschwitzen Laken überdrüssig ging ich ins Freie, um bei einer Zigarette und der Nachtluft Müdigkeit zu finden. Manu, zur Baustellenzeit saisonal Manni getauft, dämmerte gleichfalls draußen vor sich hin. Wie es so kommt, fanden sich ein Gespräch, ein T-Shirt zu meiner Leinenhose und vier Füße. Ziellos gingen wir los in die Nacht, den Feldweg von der Anhöhe unseres Quartiers herunter. Leise knirschte der Kies unter unseren Schritten. Die Grillen zirpten. Wir schlenderten die asphaltierte Straße entlang, Richtung Ortskern.
Und, wie wenn man aus einem ruhigen Schlafzimmer eine Tür weiter gehen und plötzlich in einem Raum landen würde, in dem sich eine wilde Party abspielt, befanden wir uns mitten in einem Stadtfest. Die Nacht war aufgestanden. Die Straße zum Marktplatz war mit Ständen gesäumt, an denen Afrikaner chinesische Produktimitate und Zigeunerinnen handgeschnitzte Fabrikwaren verkauften. Alles schlenderte, lachte und feilschte in friedlicher Lebhaftigkeit. Ein Dutzend Mal werde ich mich wohl kurz und schmerzlos in dunkle Augen verliebt haben, in dieser Nacht.
Dieses „Bella Italia“, dass manch Deutscher so gerne als Lebensgefühl anstrebt, es lobt und preist, mag ich nicht mehr hören und erwidere (in Gedanken) „dann zieh halt selber nicht so eine scheiß Fresse“. Wenn ich aber die Bierunseligkeit eines deutschen Stadt- oder Dorffestes sehe, mir die Stammtischhaftigkeit und die orangenen Biergarnituren vorstelle, dann graust es mir.
Das Treiben konzentrierte sich auf dem Kirchplatz. Die Menge feierte dort das Konzert eines Sängers, der sich gnädigerweise seiner Muttersprache bediente, um das Schmalz zum Tönen zu bringen. Über alle Köpfe blickten wir zur Bühne…
„Merkst du was?“ fragte Manu.
„Äh…“ antwortete ich.
Er zeigte mit seinem Arm unseren Sichthorizont und da merkte auch ich, wie zwei Tannen im Unterholz ragten wir über die Menge der kleingewachseneren Italiener.
Wir trieben weiter durch die zauberhafte Nacht. Irgendwann saßen wir auf einer Gartenmauer, redeten, rauchten die letzten trockenen Krümel Tabak auf und gingen nach Hause.
Hach.
Die erste Hälfte relativiert irgendwie den dalten Artikel. Trotzdem: hach.