Wir fahren durch das oberschwäbische Hinterland 1. In einer dieser Ortschaften, die immerhin so groß ist, dass man den Namen beim Durchfahren zwischen den beiden Ortsschildern kurz vergessen kann, bevor er einem danach endgültig entfällt – in einer dieser Ortschaften gibt es allen betriebswirtschaftlichen Realitäten zum Trotz ein Gasthaus. Gast- oder Wirts, -häuser oder -stuben scheinen hier noch eine Angewohnheit von Familien zu sein, die sich durch die Generationen schleppt und die man nicht so einfach los wird. Wie eine bösartige Großtante.
Da sich ein Gasthaus nicht von allein befüllt und man nur in Indien oder der Reeperbahn auf menschliche Kundenstopper zurückgreifen kann, setzt man im POS-Marketing gern auf Aufstell-Tafeln. Vorbereisende werden informiert mit „ab 17 Uhr geöffnet“, „durchgehend warme Küche“ oder über die ein oder andere Spezialiät des Hauses oder Innerei des Tieres. Nicht so in dieser einen Ort- und Wirtschaft! Mit weißer Kreide auf schwarzen Grund wird hier proklamiert: täglich Kartoffelsalat.
Das wirft Fragen auf. Vielleicht standen dort mehr Schilder. Weggeweht von Wind. Die Buchstaben im Straßendreck: Friede, Freiheit und … Dafür spricht das kleine „t“ von „täglich“. Dagegen spricht das fehlende Ausrufezeichen oder eine sonstig denkbare Interpunktion. Ist die Aussage etwa eine subtile? Wir machen keinen Ruhetag. Wir sind keines dieser 6-Tage-fauler-Lenz-Gasthäuser! Bei uns gibt’s Rock around the clock oder eben: täglich Kartoffelsalat.
Stutzig macht mich das fehlende Adjektiv: Dieser Kartoffelsalat ist nicht frisch, nicht knackig, nicht lecker, nicht hausgemacht. Er kommt nicht „mit“ er kommt nicht „und„. Ist es eine Warnung des Service-Personals vor der Küche? Ist es eine unbarmherzige Androhung: täglich Kartoffelsalat.
Ist es tiefgründiger? Der Leitspruch eines im Hinterzimmer ansässigen philosophischen Stammtisches? Gibt es im Landkreis ein Kartoffelsalat-Prohibition von Montag bis Mittwoch und dieser Wirt hat eine Kartoffelsalatsperrzeitverkürzung? Verzehrt sich der Oberschwabe so sehr nach Kartoffelsalat? Ist es das religiöse Mantra einer Erdknollen-Sekte? Die Endzeile eines Erdapfel-Gebets? Gar das Erfolggeheimnis babypopoweicher Haut oder ein Tipp für die Libido müder Männer? täglich Kartoffelsalat.
Vielleicht ist der Wirt auch Opfer einer dieser marodierenden Wanderfernsehkochbanden geworden und musste sich als Hausaufgabe seinen USP auf die Fahnen schreiben. Bin ICH gar das Opfer einer groß angelegten Verschwörung, die von meiner Liebe zu Gewerbebetriebspoesie weiß? Die unbeholfenen, ja leicht gekrakelten Buchstaben das Ergebnis einer durchtriebenen, millionenschweren viralen Werbekampagne einer preisgekrönten Hauptstadt-Agentur? Haben wir das Ende der Werbegewaltspirale erreicht und fangen noch einmal ganz von vorne an? Ist es das, was es ist, ist es ein schnöder Konsum-Existenzialismus? täglich Kartoffelsalat.
Was man sich fragen kann, kann man auch Andere fragen. Wenn ich das nächste Mal in diese Ortschaft komme, werde ich mich am Ortsschild wieder an den Namen erinnern. Mein Auto werde ich zu besagtem Wirtshaus lenken, mich an den Tresen setzen, ein Weizen und einen Kartoffelsalat bestellen, mit einem Zehner-stimmt-so zahlen, und verschwörerisch über den Tresen beugen und den Wirt unauffällig zuraunen. Ok, jetzt erzähl mir die Geschichte. Warum steht auf dem Schild: täglich Kartoffelsalat.
- nicht dass es etwas Derartiges wie ein Vorderland geben würde [↩]
der brezel bröselung ist eine ganz einfache.
gemeint ist täglich frischer hausgemachter kartoffelsalat. anders als die mittels majonäse verbrochene norddeutsche variante nimmt der schwäbische kartoffelsalat, mit schnittlauch, zwiebeln, brüh, essig und öl, lagerung im allgemeinen und im kühlschrank im besonderen geschmacklich eher ungnädig auf. der volksmund stellt fest er zieht wasser.
am besten ist er frisch ca. zwei stunden durchgezogen aber auf jeden fall vom selben tag. es soll aber böswilligen gerüchten zufolge tatsächlich wirte die diesen namen eigentlich nicht verdienen geben die lieblose chemisch technisch stabilisierte fabrikware aus plastikeimern an ihre gäste verfüttern.
in diesem zusammenhang ist die aussage „täglich kartoffelsalat“ für den nicht im dunkel der uneingeweihtheit hausenden durchaus eine sinnvolle.
Das wäre auch meine Vermutung gewesen, zumal die mittels viel Essig verbrochene schwäbische Variante im Gegensatz zum guten Majosalat aus dem Norden auch gerne mal warm serviert wird.
Schlonzig muss er sein.
Habe ich eine Kontroverse heraufbeschworen?
Iwo, in Wirklichkeit habe ich den schwäbichen Kartoffelsalat ja schätzen gelernt. Er ist halt ganz anders als der, mit dem ich sozialisiert wurde.
Schade. Ich bin ein Freund von Clash of Cultures, wenn’s um regionales Essen geht.
Meine Mutter nimmt statt Öl Butter. Zählt das schon als Verrat am schwäbischen Kartoffelsalat?