Die alte Ziegelei

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Eine Foto-Safari

So ein Abend fängt auch manchmal an, wie ein schlechter Rap: Habe die Stadt satt und hau aus der Stadt ab . Ich bin ja sonst des Rappens recht unverdächtig, auch wenn ich in den 90ern mal das Cape 180° trug. Nun: Es war Zeit das Stadtviertel zu verlassen. Wenn wir hier von Stadt reden, meine ich natürlich Ort und wenn ich von Viertel rede, meine ich natürlich Ortsteil. Ich kokettiere gerne mit meinem ländlichen Image, auch wenn ich keine Kuhsorten (nicht mehr als fünf jedenfalls) auseinander halten kann.

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Here we go ->

Kamera entstaubt, 4er-Pack Mignonzellen voll durchgeladen, F. auf den Beifahrersitz gesetzt und ab in die alte Ziegelfabrik, die uns schon lange unverschämt und unbesucht aus dunklen Fenstern belauert hat.

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Gerade jetzt wo die Frühjahrskollektionen in den Schaufenstern blühen und bleiche Haut in der Sonne getragen wird, reizt die alte Fabrik zwischen knospenden Bäumen und wiedergeborenem Grün den wiedererwachten Entdeckergeist geradezu zur Fotosafari.

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Erdgeschoss. Hier und dort flattern Reste weißroter Absperrbänder im Wind, der die lauwarme Abendluft durch die Fabrik trägt. Ziegel und Glasscherben knirschen und das Laub raschelt unter den Schuhen, als wir das Gebäude betreten, das lange vor unser keiner mehr betreten hat – außer diversen Gothic- und Death Metal-Bands für ihre MySpace-Foto-Gallerie natürlich.

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Ein leichtes wohliges Unbehagen (!) breitet sich im Körper aus. Das ist kulturhistorisch oder eher popkulturell bedingt, schließlich ist das hier eine erstklassige Kulisse für eine zweitklassige Schauergeschichte. Das Schicksal hat natürlich ein Gespür für narrative Notwendigkeit und schickt uns eine kleine Reminiszenz:

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Wer trug diese Gummistiefel? Was suchte er hier? Warum hat er sie verloren? You’ll never know my love.

Wir finden die Treppe (die nicht knarrt, Realität ist eben selten stringent) und steigen in den ersten Stock.

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In den Luftschlössern, die wir in unserer Jugend gebaut haben, hätte die Bevölkerung einer Kleinstadt leben können. Wären wir damals auf dieser Treppe gewesen, hätten wir schon auf der zweiten Stufe in unserer Vorstellung die Vorhänge für das Bad ausgesucht. Und nun. Was kostet die Fabrik, was kostet die Renovierung? Es lohnt sich nicht. Kein kühner Traum mehr, der sanft wieder entweicht. Nur eine nüchterne Feststellung. Aber trotzdem: Wie geil wäre das denn, in dieser Farbik zu wohnen!

Doch so erfreut sich das Herz nur an der radikalen Schönheit des Verfalls.

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Durch den ersten Stock zur zweiten Treppe.

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Vorbei an etwas, dass das Büro gewesen sein könnte.

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Im zweiten Stock lauert der Verfall in voller Pracht.

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Über die letzte Treppe steigen wir hinauf unter das Dach. Hast du Angst, fragt mich F. Ein Brett knarrt. Man blickt in dunkle Abgründe. Nein, sage ich. Hast du Angst, frage ich mich. Das eine ist immer das Gefühl. Das andere, wie man das Gefühl wahrnimmt. Man wird vorsichtig, ja. Man schaut auf die Balken und Bretter, auf die man tritt. Macht hier oben ja auch Sinn.

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Nein, es gibt noch eine Treppe. Eine letzte. Ganz nach oben. Neben der Treppe gähnt der tiefschwarze Kohleschacht. 20 Meter geht es runter. Geschätzt. Man misst ja nicht nach. Oben erwartet uns eine herrliche Aussicht, die genossen, aber zum Blogleidwesen nicht fotografiert wurde.

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Als wir wieder runterklettern, sehen wir aus einem Fenster eine schwarze Katze. Ich klopfe drei mal auf Holz. Auch wenn ich nicht abergläubig bin: Sicher ist sicher. Das werde ich mir nicht angewöhnen dürfen. Demnächst wird (unter anderem, aber das ist eine andere Geschichte!) eine schwarze Katze mit mir in einer Wohnung wohnen.

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Sie sehen: Eine schwarze Katze, fotografiert mit 10-fachem Zoom. Vor einer Sekunde hat sie uns noch angestarrt, schwört F. Mich würde nicht wundern, wenn sie auch noch gewunken hätte. Katzen traue ich alles zu.

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Außer uns ist auch noch eine Tanne (Fichte?) bis hier hoch gekommen (Hat aber etwas länger dafür gebraucht).

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Die Fabrik blickt uns mit hohlen Augen nach, als wir das Gelände in der untergehenden Sonne für diese Geschichte recht pointenlos verlassen und Bier kaufen gehen.

4 Kommentare

  1. Alte, verlassene Gemäuer finde ich unheimlich. Diese Stille zwischen den Mauern, die alles erdrückt.
    Kommt dann die Vorstellung, dass gerade dort vor Jahren das Leben pulsierte, zieht es einen noch weiter herunter.

    Die Bilder sind toll. Das Wechselspiel zwischen Licht und Schatten hast Du sehr gut „eingefangen“.

  2. na holla.. steht die in Weißensee in der Nähe des alten Kinder- und Säuglingskrankenhauses (auch ein beliebtes Foto- und Videomotiv)?

    Grüße

  3. @Fred: Noch steht die Fabrik!

    @maik: Danke. Ich fluche aber regelmäßig über meine Kamera, die jeden kleinsten Schatten körnt.

    @olli: Nicht ganz. Genau genommen steht sie 800 km entfernt (Nähe Bodensee).

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