„Immer unter Zugzwang“ – Im Gespräch mit einer Lokomotive

80155820 d654eadfb9 o

Foto: *MarS

„Immer unter Zugzwang“ – Im Gespräch mit einer Lokomotive

Wir sind in einer Reparaturhalle verabredet. Dämmerlicht dringt durch verschmutzte Oberlichter, es riecht nach Metall und Öl. Hammerschläge hallen durch das Gebäude und Stimmen wandern diffus umher. Die Lokomotive steht auf einem Nebengleis und begrüßt mich freundlich.

In der Vorbereitung zu diesem Gespräch stellte ich mir die Frage, wie redet man eine Lokomotive an. Mit „Frau“ wegen des weiblichen Artikels von „die“ Lokomotive? Oder ganz sachlich, sächlich unbenannt?

Loko: Es hilft sicher, wenn man meine, also wenn man die funktionelle Existenz von Lokomotiven betrachtet. Ich bin ein konstruiertes „Ding“ und lege daher keinen Wert auf eine geschlechtlich korrekte Anrede. Sie können mich einfach Loko nennen.

Gut. Loko, können wir davon ausgehen, dass die Perspektive vieler Dinge anders ist, gerade wenn wir auf den Kontrast von Mensch zu Maschine blicken.

Loko: Natürlich. Dadurch, dass ich für einen klar definierten Zweck gebaut wurde, stellt sich mir nicht die Sinn- und Seinsfrage. Zudem wird meine gesellschaftliche Stellung nicht hinterfragt. Es erleichtert mein Dasein schon sehr, sich über viele Dinge keine Gedanken machen zu müssen, solange ich funktioniere, wie geplant.

Wir lesen viel über Hartmut Mehdorn, die Streiks der verschiedenen Eisenbahnergewerkschaften, Preiserhöhungen und Kundenunzufriedenheit. Was kommt da bei Ihnen an, Loko?

Loko: Wer ist Hartmut Mehdorn?

Der Bahnchef. Ihr Boss, wenn man so will.

Loko: Ich habe den Mann noch nie gesehen. Aber zu dem anderen Teil der Frage: Ich verstehe den Ärger meines, beziehungsweise unseres Personals. Da bin ich solidarisch. Wenn ich zu wenig Sprit habe, fahre ich nicht mehr. Das ist ganz einfach. Wenn meine Jungs und Mädels zu wenig zum Leben haben, sollen sie das auch machen dürfen.

Verständliche Sichtweise. Ein weiterer Teil dieses Fragenkomplexes waren die Kunden. Die Bahn wird allgemein für ihre überteuerten Preise, ihre Unpünktlichkeit und die überfüllten Züge verflucht. Trifft Sie das?

Loko: Was glauben Sie? Nun ja, die Preise kann ich nicht einschätzen, da fehlen mir lebenspraktische Relationen. Zur Pünktlichkeit kann ich nur sagen, wir sind ein riesiges Getriebe mit tausenden von Faktoren und ich bin nur ein winzigkleines Rädchen. Klar wundert es einen, wenn man eine halbe Stunde am Bahnhof warten muss, bevor es losgeht, aber ich verstehe das.
Es ist immer wichtig pünktlich zu sein, Menschen fahren mit mir zu ihrer Arbeit. Da spürt man schon unglaubliche technische Versagensängste. Ich stehe quasi immer unter Zugzwang. Mit diesen Ängsten lernt man aber umzugehen. Da zuckt man mit den Achseln und lacht auch mal drüber, wenn etwa die Stuttgarter noch 5 Minuten länger warten müssen. Die Devise heißt, locker bleiben

Die Ängste einer Lokomotive. Wahrscheinlich ein stiefmütterlich behandeltes Thema in der Psychoanalyse?

Loko: Man darf das auch nicht überbewerten. Es gibt selbstverständlich noch die Angst davor, nicht mehr gebraucht und aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Ansonsten sind wir sehr einfach, wir funktionieren oder wir funktionieren nicht.

Keine Angst vor Koffer-Bombern?

Loko: Höchsten vor den Bonbons-Koffern. Ich meine die Karnevalisten (lacht).

Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche noch eine gute Reise weiterhin.

Loko: Ich danke Ihnen.

4 Kommentare

  1. Sehr informativ.
    Ich habe völlig neue Einblicke in das Leben einer Lokomotive gewonnen.
    Ich stimme zwar nicht in allen Punkten der Aussagen von Loko zu, aber in weiten Teilen. Auch denke ich, dass der Vergleich Lohn / Treibstoff etwas daneben ist. Loko, verlangst du einmal im Jahr eine Erhöhung des Treibstoffverbrauchs? Verlangst du Treibstoff, wenn du gerade defekt bist und gar nicht fahren kannst, auch wenn du willst? Auch denke ich nicht, dass man die Art der Anstellung vergleichen kann. Immerhin hat Loko einen Zeitvertrag von 15-20 Jahren.

  2. Ich fühle mich oft wie eine Lokomotive. Aber mit einer zu fahren ist immer so entspannend. spannende sind die verschiedenen sichtweisen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert