Wie weit sich die Wirklichkeit oft von der medialen Darstellung unterscheidet, wie viele Lügen, Halbwahrheiten und falsche Schlussfolgerungen man wohl aus Unkenntnis schlucken muss und was für eine tendenziöse, fahrlässige oder mutwillig negative Berichterstattung unerkannt an einem vorbeizieht, kann man kaum ermessen, wenn man selber nicht direkt betroffen ist, beziehungsweise sich in der Thematik nicht auskennt.
Offene polemische Hetze ist leicht zu entlarven, beziehungsweise entlarvt sich oft selbst, wie man es im Fall islamophober Hetzblogs sehen kann. Subtile systematische Diffamierungen, die gezielt Vorurteile und Ablehnung schüren und unter dem Deckmantel objektiver Berichterstattung agieren, sind eine weitaus größere Gefahr. Die wahnwitzige mediale Induktion, die einzelne Vorfälle zur Regel erklärt, wird durch politische und wahltaktische Interessen verstärkt, etwa die Ohrfeige eines überforderten Pädagogen zur Frage von nationalem Interesse stilisiert. Von Schicksalen wie einer Natascha Kampusch ganz zu schweigen.
Durch Emotionalisierung und sprachliche Hysterisierung jagt ein Skandal das Martyrium, dicht gefolgt von einem Eklat, abgelöst von einer Sensation, vertrieben von einer Tragödie, während menschliche Einzelschicksale oder wichtige Themen nur kurz und plakativ hochgehalten und dann wieder fallengelassen werden.
So sehr man die Blogs in ihrer Inkohärenz und Vielfältigkeit als potentielle Gegenöffentlichkeit lobt, die sich mit der Vorherrschaft des klassischen Journalismus anlegt, so vermisse ich auch dort leider immer wieder eine wirkliche thematische Auseinandersetzung und Vertiefung. Eine grundsätzliche Diskussion über die Medien findet kaum statt, auch wenn der vielzitierte Kampf “ Blogger – Alte Medien“ zum Haupthema eines Selbstfindungsprozesses in den Blogs stilisiert wird. Die Kritik, die sich anmaßt eine Medienkritik zu sein, läuft oft so ab: Ein – bespielsweise Spiegel – Artikel wird verlinkt, in ein zwei Sätzen halbherzig drauf rumgeklöppelt, am Schluss noch ein hingerotztes „Print is eh schon dead“ oder „kein Wunder, dass die am Abkacken sind“ und fertig ist die Medienkritik á la Blogcarte. Kann man machen, braucht sich dann aber nicht darüber zu wundern, wenn man nur (negativer) Verstärker eines anderen Senders ist. Abseits von einigen wenigen, wie etwa Niggemeier, Knüwer und Don Alphonso, ist die Diskussion vielerorts zu einem schlechten Witz verkommen, wenn ein Youtube-und-Funlink-Blogger stolz und ironiefrei in einem Zweizeilenpost den Blogvormarsch und den Untergang der Zeitungen verkündet. Manchmal brennen Strohfeuer in Blogs früher oder länger, aber die Orientierung an den „Leitmedien“ ist doch allzu deutlich, was wahnsinnig lächerlich wirkt, wenn man sich im selben Atemzug davon distanzieren will.
Die „Free Burma„-Geschichte ist da wohl beispielhaft. Wie ungeheuer schnell der Aktionismus seine Kreise zog, zeigte die gewaltigen Möglichkeiten, die in dieser Vernetzung liegen. Doch drei Tage später war dann alles wieder still. Heute spricht fast keiner mehr davon. Selbst wenn eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfindet, die Natur und Struktur der klassischen Medien wird nahezu vollständig kopiert. Die Mechanismen der Aufmerksamkeitssteigerung sind vielerorts identisch und lässt sich auf den symptomatischen Namen „Britney Spears“ reduzieren.
Wie Thinkabout möchte man seufzen:
Ich wünschte mir wirklich sehr, die Medienwelt wäre nicht so sehr darauf versessen, alles ans Licht zu zerren und daselbst zu zerlegen.
Intimität, Behutsamkeit, Zärtlichkeit, Sinnlichkeit. Wo sind diese wunderbaren Erfahrungen denn noch zu finden, wenn wir sie in Tabloid-Formate zwängen? Es kommt mir vor, als würde der grosse Durchschnitt der Menschen immer stumpfer in ihrer Fähigkeit, mit wachen Sinnen das Leben zu erfahren.
Oberflächlichkeit und Ungeduld werden bis in die heimischen Quadratmeter Deutschland getragen.Nicht mehr fähig, sich einen Film in voller länge am Stück ansehen zu können, hofft man nach 15 Minuten bereits auf den ersehnten Werbeblock. Aufmerksamkeit ist nicht mehr quotenträchtig.
MTV hat es vorgemacht: Das Leben besteht aus kurzen, radikalen Schnitten – keine Zeit mehr zum Zusehen. Und zum Nachdenken. Begierig werden Feuer des Interesses geschürt – geistige Brandstifter erfreuen sich der gierigen „Informationsgesellschaft“, die alles als Information inhaliert, das zeigbar und hörbar erscheint.
Wir singen gegen die Armut, verzichten heroisch auf 5 Minuten Strom und wollen mit einem Logo Burma befreien. Aber bitte auch schnell und kurz, denn das nächste Weltthema klopft schon an die Tür.
Taten sind schnell geschrieben – die Umsetzung bereitet schon größere Schwierigkeiten. Die Faulheit tanzt mit der Unbequemlichkeit und wir musizieren dazu. Hielte das Orchester inne, gäbe es auch keinen Tanz.
Ich kann den Erdball auch nicht in seiner Bahn stoppen – ich kann jedoch im Strom stehenbleiben. Wenn ich der Meinung bin, keine bewegten Bilder einer bekannten Filmchenplattform in mein Blog zu stellen, weil sie immer noch bedenkliches Gedankengut transportiert, ist das meine kleine Entscheidung, die, sollte sie geteilt werden, zum Stolperstein werden könnte.
Es ist schon symptomatisch, dass im Fall „Spears“ weder wohlwollend gesungen, Strom gespart noch unterstützend eingewirkt wird: Stattdessen wettet man auf ihren Moment des Selbstmordes…