Abfahrt 20:10

Klar, sagt man mit einem Einseitenmundwinkelgrinsen. Kein Problem. Gerne. Man lächelt etwas nervös, weil der Wind geht und die Feuerzeugflamme ständig ausgeht. Vielleicht sollte man das mit dem Rauchen bei diesem Hundewetter auch sein lassen. Obwohl die Hunde nichts dafür können. Ein Gespräch entsteht aus dem Wetter, unweigerlich landet man bei der Deutschen Bahn. Man steht ja am Bahnhof. Dieses kleine eingleisige Exemplar hat eine neue Anzeigetafel, auf die alle gespannt im 15-Sekunden-Takt blicken, als ob sich dadurch etwas ändern würde. Als ob sich jemals etwas ändern würde.

Man ist geduldiger geworden. Wartet auch mal bis der Kellner kommt. Oder der Lebensinhalt. Man ist in diesem Jahr wieder +1 alt geworden. Redet aber immer noch von Mädchen. Sagt hin und wieder noch Alter, Alter! Wie das Rauchen eine schlechte Angewohnheit, aber besser mit Ironie zur tragen. Nein, eigentlich wartet man nicht mehr so viel. Man gewöhnt sich an das Gefühl zu spät zu sein. Etwas zu verpassen. Das ist lächerlich, weiß man, sagt man sich. 2010 wird mein Jahr, hat man sich gesagt. War 2010 dein Jahr, hat man sich gefragt.

Man will ja irgendwann loskommen.

Man hilft dem alten Kerl beim Koffertragen. Zug raus, Treppe runter, Treppe hoch, Zug rein. Gerne. Schönen Tag noch. Viel Spaß im Urlaub. Leute kommen, Leute gehen. Solche und solche. Man hat Termine mit Leuten. Man hat einen Terminkalender. Mein Gott, ich habe einen Terminkalender!
Die politischen Verhältnisse sind katastrophal. Die Wut ist nicht verraucht. Sie raucht, aber sie brennt nicht mehr. Eigentlich wollte man das Streichholz sein. Wenigstens die Flamme. Man wartete auf das Feuerwerk und sah nur das Glimmen.

Man sitzt im Bus. Schaut nach draußen. In die Reihen der Hauptstraße ist eine Zahnlücke gerissen worden. Ein Haus fehlt. Wurde halt nicht mehr gebraucht, denkt man so beiläufig bei sich, wie man so denkt, wenn etwas am Bewusstsein vorbeizieht, aber dort nicht kratzt. Wenige hundert Meter weiter steht ein frisches Haus. Das Dach eingepackt in Schnee und Plastik. Die Wände im grauen Unterputzgewand trotzen dem Blick des Betrachters mit rustikalem Charme. Es geht alles so schnell. Das ist nicht angenehm. Es ist nicht alles so wichtig. Das ist angenehm. Häuser sind nicht so wichtig. Sie kommen und gehen.

2010 – ein Vierteljahrhundert alt. Da wühlt man noch eher stumpf, als mit Weisheit zu glänzen, aber doch doch doch, was man ahnte, wird immer weniger überraschend mehr Wirklichkeit: Es ist das Schöne. Es ist die Liebe. Es sind die Freunde. Es ist die Familie.

Man will ja irgendwann ankommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert